In 2010 verließ ich mit schwerem Herzen Zürich, um dem Ruf des Max-Planck-Instituts für Kognition und Neurowissen-schaften in Leipzig zu folgen und dort als Direktorin die Abteilung für Soziale Neurowissenschaften zu leiten. Diese Position bot mir die einzigartige Gelegenheit, ein groß angelegtes mentales Trainingsprojekt zur „Plastizität des empathischen Gehirns“ weiterzuentwickeln, für das ich 2008 in Zürich einen Grant vom Europäischen Forschungsrat (ERC Grant) erhalten hatte und für das ich bereits wichtige vorbereitende Studien begonnen hatte.
Die folgenden acht Jahre als Max-Planck-Direktorin in Leipzig waren daher vor allem durch die Organisation und Durchführung dieser riesigen und einzigartigen, groß angelegten, longitudinalen mentalen Trainingsstudie über Mitgefühl geprägt: dem ReSource Projekt. Dieses Projekt war nicht einfach nur eine weitere Forschungsstudie, sondern vielmehr ein lebenslanges Projekt, in das ich viele meiner früheren Fachgebiete sowie persönlichen Retreat- und Seminarerfahrungen integrieren konnte. Die Idee war, ein langfristiges mentales Trainingsprogramm zu schaffen, das sowohl auf Meditation und kontemplativen Ansätzen aus dem Fernosten als auch auf Ansätzen aus der westlichen Psychologie und den Neurowissenschaften basierte. Ziel war es, wichtige Fähigkeiten wie Achtsamkeit, Mitgefühl und ein besseres Verständnis von sich selbst und anderen Menschen zu fördern. Dieses Interventionsprogramm sollte säkular sein und seine Auswirkungen sollten mit einem ganzheitlichen Ansatz wissenschaftlich gemessen werden, der viele verschiedene Beobachtungsebenen berücksichtigt: von Gehirn, Körpergewahrsein und Hormonen über subjektives Wohlbefinden, soziale Kognition und Emotionen bis hin zu beobachtbaren Verhaltensweisen und sozialen Interaktionen. Diese Studie war sicherlich die mutigste und komplexeste all meiner bisherigen Studien und brachte mich trotz ihres großen Erfolgs zuweilen auch an meine persönlichen Grenzen.
Als ich 2010 von Zürich nach Leipzig umzog, begann ich zunächst damit, die notwendigen Labore und die Testumgebung für diese Multimethodenstudie neu aufzubauen (z.B. Anschaffung und Bau eines Scanners, Multi-computerlabors, Satellitenlabors in Berlin usw.). Nachdem ich ein großes Team von Forschern und Hilfspersonal rekrutiert hatte, erhoben wir zwischen 2013 und 2016 die Daten dieser longitudinalen Trainingsstudie mit mehr als 300 Teilnehmer*innen am Institut in Leipzig sowie in dem Satellitenlabor in Berlin, dem Haus5. Seit 2015 arbeite ich mit einer großen, inzwischen weltweit verteilten Gruppe von Forscher*innen an der Datenanalyse und der Veröffentlichung der Ergebnisse des ReSource Projekts. Bislang konnten wir mehr als 40 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlichen. Außerdem bemühe ich mich jetzt auch darum, dieses Know-how in praktische Anwendungen zu bringen, die die Resilienz, die psychische Gesundheit und die sozialen Kompetenzen in verschiedenen Teilen der Gesellschaft fördern sollen.
Parallel zur Durchführung dieser komplexen mentalen Trainingsstudie über die Plastizität des sozialen Gehirns entwickelte ich weiterhin ein ganzheitliches Forschungsprogramm, was einige meiner früheren Expertisen und Forschungsfelder abdeckte. So untersuchte ich sowohl die Entwicklung des sozialen Gehirns bei Kindern als auch die psychopathologischen Ursachen sozialer Defizite bei bestimmten Patientenpopulationen, wie Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung, Narzissmus oder Depression. Ich wollte die Ursachen vieler moderner Phänomene besser verstehen, wie die Zunahme von Narzissmus, Depressionsraten, stressbedingten Erkrankungen sowie Einsamkeit.
Darüber hinaus setzte ich meine Arbeit zur Integration von Neurowissenschaften und Ökonomie mit dem Makroökonomen Dennis Snower fort, der bis 2018 Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft war. Auf der Grundlage eines Grants des „Institute of New Economic Thinking (INET)“ mit dem Titel „From Homo Economicus towards Caring Economics“ untersuchten wir, wie Psychologie und Neurowissenschaft neue ökonomische Modelle beeinflussen können.
Ende 2018, nach einer sehr schwierigen Zeit am Max-Planck-Institut in Leipzig, trat ich von meiner dortigen Direktorenstelle zurück und zog Anfang 2019 endgültig nach Berlin, wo ich bereits seit 2016 lebte. In Berlin setzte ich als Professorin und wissenschaftliche Leiterin der Forschungsgruppe Soziale Neurowissen-schaften der Max-Planck-Gesellschaft meine bisherige Arbeit über Mitgefühl und Empathie und deren Trainierbarkeit in meinem Satellitenlabor, Haus5, auf dem Campus der Humboldt-Universität Berlin und später nach dem Umzug 2021 mit meinem neuen Team ins JFK Haus am Berliner Hauptbahnhof fort.